SECHS PERSONEN FINDEN EINEN AUTOR

von Premdharma S. Gartlgruber

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Ab Saaleinlaß ist der Vorhang leicht geöffnet, so daß man KASPAR, den Namenlosen, in der durch die Öffnung entstanden Lücke teilweise sehen kann.
Halbdunkel.
KASPAR sieht die Zuschauer an, diese hinwiederum KASPAR, beide möglichst zwanglos. Wichtig ist nur, dass KASPAR auf seinem Standplatz bleibt, während die Zuschauer immerhin noch die Freiheit haben, ihre Sitzplätze zu vertauschen. Wenn, und nachdem der letzte Zuschauer Platz genommen hat (auf Nachzügler warten), verschwinden KASPAR und die Zuschauer in der Dunkelheit, die dadurch entsteht, dass das Licht langsam ausgeblendet wird. (mitzählen: 21, 22, 23... bis höchstens 60, danach 1, 2, 3, 4, nicht mehr als 5 Min.. Müdigkeitsrücksichtsschwelle beachten, individuelle Erfahrungswerte).

1. BILD
Musik. Gluck. Orpheus und Euridyke. "Ach, ich habe sie verloren, all mein Gluck ist nun dahin." (Schallplattenaufnahme).
Danach Orchester: Der PRINZ singt denselben Text, nur anstatt "Euridyke, Euridyke" singt er von "Susanne, Susanne".
Währenddessen wird langsam vom Schnürboden ein großer VOGEL herabgelassen, der "Zeuge" der vorgehenden Handlung wird und bei Liedende anfängt, den PRINZEN nach seinem Befinden zu fragen. Nun erzählt ihm der PRINZ seine Geschichte, dass ihm nämlich, während er geschlafen, ein DRACHE die Geliebte geraubt habe und all sein Gluck nun dahin sei. Statt Gluck sagt er allerdings Glück, statt Susanne sagt er diesmal Euridyke und behauptet endlich steif, von Orpheus in der Unterwelt nie gehört zu haben, wohl aber Orest zu sein. Nun ja, man wird sehen.
Der VOGEL immerhin macht sich erbötig, ihm zu helfen, verabschiedet sich (Kratzfuß) und wird nach oben abgezogen, nicht ohne dem PRINZEN vorher seine baldige Wiederkehr zugesichert zu haben. Der PRINZ rauft sich einen Teil seiner Haare und bleibt allein auf der Bühne zurück Musik wie zu Beginn des Bildes.
Dunkel.

2. BILD - DAS DILEMMA

Wir sehen den DRACHEN auf der Spitze eines Turmes, in dem PRINZESSIN SUSANNE eingesperrt ist, sitzen.


Der DRACHE hält einen Monolog, beispielsweisen Inhaltes:

Ich bin der Schönste
Ich bin der Stärkste
Ich bin der Schnellste
Ich bin außergewöhnlich
Ich bin unnachahmlich
Ich bin der Bescheidenste
Ich bin der Frömmste
Ich bin einzigartig
Ich bin einzigartig
I am the sexyest
Ich bin der Ichloseste
Je ne suis pas moi
Ich bin so
Ich bin das, was du nicht bist
Ich bin nichts Besonderes
Ich bin wie du und ich
Und so weiter

Die PRINZESSIN bleibt stumm und guckt währenddessen ins Publikum.

Der DRACHE steigert sich zu einem höhepunktartigen, wilden Durcheinander, spuckt, schnaubt, rauft sich die Haare, rezitiert Hamlet-Monologe, verwechselt Faust 1. Teil und Hamlet, fordert schließlich Euridyke zum Osterspaziergang auf und ist sich darüber im unklaren, ob er nun Ophelia für Susanne halten soll oder nicht, läßt schließlich Goethe türkisch sprechen, Shakespeare englisch und legt sich dann vor Erschöpfung aufs Ohr. Die PRINZESSIN bleibt weiterhin stumm.
(Licht langsam ausblenden, vielleicht etwas zügiger als vor dem 1. Bild, ungefähr 3 Min. und 32 Sekunden, in etwa. Bleibt letztendlich der Regie überlassen. Sollte von seiten derselben keine Vorstellung über den zeitlichen Ablauf des Ausblendevorganges vorhanden sein, so kann sie sich gerne des oben gemachten Vorschlages bedienen.) (Kein Muß, Anm. des Verf.) Man könnte an dieser Stelle auch die Reaktion des Publikums berücksichtigen, also flexibel bis zum geht nicht mehr sein, evtl., ja. Wie bitte? Hm, sowas, und ich dachte schon... (Verf.)

3. BILD

Wir hören KASPAR Flöte spielen, der VOGEL wird wieder herabgelassen und erzählt in einem Sing-Sang-Song die Geschichte des PRINZEN. Kaum hat der VOGEL seinen Gesang geendet, so windet sich die SCHLANGE aus der Versenkung und singt, leicht zischend (mit einer ihrer beiden Zungen leicht zu bewerkstelligen) - immer noch zum Kosen der Flöte - ihre Einladung, ihr zum Schein-Liebeswerben um den DRACHEN.

Der VOGEL schreibt diesen Text auf einen eilends herbeigeschafften (größeren, jedoch nicht zu großen, DIN-Zahlen je nach Aufführungsland verschieden, jedoch vergleichsweise EU-Norm DIN A-0) Briefbogen.
Kaum hat die SCHLANGE ihr Lied geendet, hat auch der VOGEL zu Ende geschrieben, gleichzeitig entfernen sich alle drei, der VOGEL nach oben, die SCHLANGE in die Versenkung, KASPAR, Flöte spielend, in den Hintergrund.
(Prospekt: indische Motive, Horizont)
Das Bild bleibt einige Sekunden leer stehen, nur die Flöte ist noch zu hören. Das Licht wird langsam ausgeblendet).

4. BILD

Licht. Der DRACHE ist mitten in seinem Standardmonolog, an der Stelle, wo er gerade gewisse Gebote oder Verbote bzw. deren Befolgung oder Mißachtung rezitiert. Hinter jedem Komma spuckt der DRACHE Feuer. Der VOGEL nähert sich ihm vorsichtig von der Seite, um ihm den Brief der SCHLANGE zu überreichen, der an einer allerdings glücklicherweise nicht beschriebenen Stelle, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, Feuer fängt, worauf am Bühnenhimmel auf einer Wolke stehend KASPAR mit einer Gießkanne erscheint und unverzüglich die Löscharbeiten aufnimmt, während der VOGEL, ja, der VOGEL, die Gelegenheit nicht ungenutzt lassend, der PRINZESSIN ungeniert schöne Augen macht, die SCHLANGE aber im Hintergrund sich, sich immer wieder windend, mit einer Zunge die andere leckt.
Kaum hat der DRACHE währenddessen den Brief zu Ende gelesen, macht er, so, als wäre nichts gewesen, weiter im Standardmonolog (Hitler-Stalin, Hannibal-Caesar, Ich-Du, Goethe auf Englisch, Hamlet verliebt sich in seine Mutter, im 1. Akt der Zauberflöte behauptet er sogar, Sarastro zu sein, laufende Verwechslungen, wie z.B. Osterspaziergang mit Ophelia, Tagesausflug mit der Königin der Nacht in die Salzwüste zum Zuckerschlecken, der Kölner Dom steht nicht am Rhein, alle Menschen haben zwei Augen, 1+1=2, u.v.a.m).
Bevor er jedoch sagen will oder kann "Der Rest ist Schweigen", besinnt er sich und sagt: "Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder", stampft mit beiden Beinen auf dieselbe (er ist mittlerweile vom Turm gefallen) und stellt sich -beidbeinig- der Herausforderung, sich selbst als Rätsel erklärend, mit der gef. zur Kenntnis zu nehmenden Auflage, daß er denjenigen, dem es nicht gelingen sollte, ihn, also das Rätsel zu lösen, vernichten werde.
Schon zu Beginn, aber besonders im Verlauf und insbesondere während dieser Erklärung versucht er andauernd sich selbst in den Schwanz zu beißen, was ihm natürlich nicht gelingt. Jeder, der das schon selbst versucht hat, wird das leicht verstehen. Man kann das des öfteren auch bei Hunden beobachten. Hätte er dieses getan, so wäre dieser Versuch bestimmt nicht in einen derartig taumelerregenden Tanz ausgeartet, wie das jetzt der Fall sein sollte. (Früher sagte man Veitstanz dazu, heute auch noch. Der Verfasser wollte das bloß nicht sagen, aus gewissen Gründen, hm, die Nachbarn und so....). Dadurch, daß der DRACHE, in solchen Zuckungen verloren, die Übersicht - was für ihn bestimmt bedauerlich ist - verliert, gewinnt der PRINZ in der Zwischenzeit die PRINZESSIN, indem er sie befreit, was für beide, PRINZESSIN UND PRINZ sicherlich erfreulich ist, wieder.

Nun stehen alle, die SCHLANGE, mittlerweile aus dem Hintergrund hervorgekommen, der VOGEL, KASPARN, der PRINZ und die PRINZESSIN vor dem DRACHEN, denselben beobachtend, worauf und wodurch dieser, nicht mehr als solcher, sondern nur noch als Verschwindender zu erkennen ist, nur noch als wirbelndes Bündel, das langsam in Richtung Schnürboden hinweg gezogen wird. Nun wenden sich alle den Zuschauern zu, und jeder preist auf seine Weise, gleichzeitig und alle zusammen, das Glück, daß der DRACHE endlich verschwunden ist.

Selbst der DRACHE kommt wieder, nun nicht mehr wirbelnd, vom Schnürboden herunter, singt seine Strophe, freut sich mit allen (einschließlich dem Publikum) dass er verschwunden ist und entledigt sich seines Kostüms (unterhalb Trikot tragen), während man die anderen Darsteller, im Hintergrund sich ihrer Kostüme nun ebenfalls entledigend, beobachten kann.
Der Darsteller des DRACHEN fängt nun an, die Bühne zu fegen, zwischendurch ermuntert er das Publikum freundlich, jedoch bestimmt - mit Hinweisen auf Uhrzeit, volle Blase, Müdigkeit, wartende Kinder, etc. - das Theater doch nun zu verlassen! Während diesen Aufforderungen zögernd, jedoch wohlwollend nachgekommen wird, singt er, die Bühne immer noch fegend, teils heimische, teils fremdländische Weisen.
Der Vorhang bleibt geöffnet.
Nachdem der letzte ZUSCHAUER das Theater von vorne verlassen hat, kommt derselbe durch den Hintereingang wieder auf die Bühne und beginnt mit dem Standardmonolog des DRACHEN, worauf dessen, noch immer anwesender Darsteller, in schallendes Gelächter ausbricht, es sich im Zuschauerraum bequem macht, wo er alsbald seine fünf Kollegen - die bereits in ihren Garderoben sitzend, das Stück zu Ende wähnend, jedoch durch den wiederaufgenommenen Drachenmonolog in ihrer Sicherheit erschüttert, beunruhigt denken, das Stück könnte vielleicht doch noch nicht zu Ende sein oder sogar einen nicht vorhersagbaren Lauf genommen haben, auf die Bühne stürzen und sich zur entsprechenden Textstelle zu verhalten beginnen - sieht diese also und macht sie, sowie den letzten ZUSCHAUER auf ihren Irrtum aufmerksam, worauf jene diesen erbost zu beschimpfen beginnen, dieser jedoch sagt, in seinem Leben immer nur das Beste gewollt zu haben, schließlich auch noch behauptet, der Autor des eben aufgeführten Stückes zu sein, worauf alle gemeinsam ihn, nicht ohne vorher eine gute Nacht ihm gewünscht zu haben, zum Hinterausgang bringen, die Türe fest verschließen, darauf auch noch den Vordereingang verschließen, nicht ohne vorher ein Schild befestigt zu haben, auf dem zu lesen steht:

"MORGEN KEINE VORSTELLUNG"
(c) Gartlgruber 1981

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